Samstag, 22. Januar 2011

"Muße. Vom Glück des Nichtstuns"


Der Journalist Ulrich Schnabel hat ein Buch über das Nichtstun geschrieben. Und erklärt während eines Besuchs bei herumlungernden Zootieren, warum darin das Glück liegt.
Um das neue Buch zu schreiben, hatte er sich ein halbes Jahr freigenommen. Zuerst hatte er geschaut, wie er mit der eigenen Muße so umgeht. Wie das ist, wenn man sich als Journalist von dem Nachrichtenstrom abschneidet, der längst zu einer nicht hinterfragbaren Konstante geworden ist.
Es funktioniert. Die Hälfte des Buches entwirft er beim Spazierengehen, in der "heißen Phase" des Schreibens fährt er vier Wochen in Urlaub, verwirft einen Teil seiner Planung - und treibt damit den Lektor "in den Wahnsinn".

Die Existenzberechtigung dieses Buchs liegt im Gegensatz der Muße: im Stress. "Wie eine Seuche breitet sich das aus", sagt Schnabel. Alle um ihn herum hatten das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, unter Druck zu stehen. Dieses Gefühl wird aber nicht nur von äußeren Faktoren erzeugt, sondern auch von uns selbst. "Sich von sich selbst hetzen lassen" nennt Schnabel das. Er findet Studien, die belegen, dass unser Gehirn und unsere geistige Stabilität immer wieder Phasen des Nichtstuns brauchen. Er liest eine Warnung der Weltgesundheitsorganisation, dass berufsbedingter Stress durch permanente Überlastung eine der "größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts" sei. Er spricht mit Wissenschaftlern, einer erzählt von dem "antrainierten" Kick des Büromenschen: Alle elf Minuten erwartet das Gehirn mittlerweile eine Unterbrechung - durch E-Mails, SMS, Facebook-Nachrichten. Der Terror hört auch am Wochenende nicht auf. Wer soll sich da noch konzentrieren, gar entspannen?

Wer sich mit Muße beschäftigt, der trifft auf noch andere Begriffe. Müßiggang. Nichtstun. Faulheit. Trägheit. Das Wort "Muße" stammt aus dem Griechenland der Antike, fast bedeutet es das genaue Gegenteil von Faulheit. Ein aktiver Zustand, der das Studieren von Dichtung, Musik und Literatur erst möglich macht. Muße, sagt Schnabel, das sind "Momente, die ihren Wert in sich selbst tragen und die nicht der modernen Verwertungslogik unterworfen sind". Wie wenn ein Kind spielt. Dabei sein, egal, was man tut - und wenn es nichts ist.

"Sozialstress", sagt Schnabel. "Wer nicht selber über seine Handlungen bestimmen kann, hat Stress." Einer, den Schnabel bewundert, hat es geschafft, sich diesem Modell zu widersetzen: Yvon Chouinard, Gründer der Firma Patagonia und Autor des Buchs "Lass die Mitarbeiter surfen gehen". Schnabel lobt dessen "müßiggängerische Grundhaltung in einem knallharten Business". Chouinard gönnt seinen Mitarbeitern Freiheit - die er sich auch selber nimmt. Ein System, das auf Vertrauen und Selbstbestimmung basiert. "Keine theoretische Träumerei", ruft Schnabel. "Es geht doch!"

"Um die Kraft für einen Richtungswandel zu finden", schreibt Schnabel in seinem Buch, "benötigen wir ausgerechnet das, was uns am meisten fehlt: Muße und Zeit." Er meint damit nicht nur einen persönlichen Wellnesstrip, sondern einen gesellschaftlichen, einen politischen Wechsel. Und die Lösung ist denkbar einfach: Anfangen. Nichts tun. Jeder Einzelne. Nach Hause gehen, an die Decke gucken, in die Sterne, in den Mond, spazieren gehen, nachdenken, alles gratis. Ulrich Schnabel will, dass sich das ausbreitet. In zwanzig Jahren, so hofft er, reden nicht nur er und ein paar Wissenschaftler vom "Zeitwohlstand". Eine Revolution könnte das dann werden. Sie finge damit an, dass man einfach mal Ruhe gibt. Und sagt: Ich hab jetzt keine Zeit, ich muss mich um meine Muße kümmern.

Fazit:
Dieses Buch ist es wirklich wert, gelesen zu werden.

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